Lehrangebote

Michael Schwarz

MA Raumstrategien

Seminar

AUTOMATENTHEORIE UND VIRTUALITÄT. Über die Ambivalenz künstlerisch-künstlicher Welt-„Bilder“


AUTOMATA THEORY AND VIRTUALITY. On the ambivalence of artistic-artificial images of the world

Phantomatics has a certain potential to become an art. [...] It could thus experience a bifurcation of a kind that happens in cinema as well as other domains of art into artistically valuable production and worthless trash. (Stanislaw Lem, Summa technologiae, 1964)

This semesters, we will discuss the ambivalences of the artistic-artificial image in its basic concepts.

On the one hand, we will have an introduction in the automata theory and epistemology, completely without a computer, only with paper and pencil and for everyone without any previous knowledge. A substantive critical view on today’s technical developments with digitization and machine "learning" etc. can only be understood with some basic knowledge.

On the other hand, with an introduction to a "3D game engine" (Unity) we will find out, how far visual and auditory virtual spaces can be realized without any programming knowledge and only with a cardboard box and a smartphone plus headphones. These VR Rooms can also be used as presentation tools for contents from other seminars and topics.

„Die Phantomatik hat gewisse Anlagen, sich zur Kunst zu entwickeln [...]. Es könnte deshalb in ihr zu einer ähnlichen Aufspaltung kommen wie beim Film, aber auch bei anderen Bereichen der Kunst (in eine künstlerisch wertvolle Produktion und in wertlosen Schund).“ (Stanislaw Lem, Summa technologiae, 1964)

Im kommenden Semester werden wir die Ambivalenzen des Künstlerisch-künstlichen in ihren Grundlagen thematisieren.

Einerseits werden wir eine Einführung in die Automaten- und Erkenntnistheorie, ganz ohne Computer, mit Papier und Bleistift und für jede/n, ohne Vorkenntnisse, durchführen. Eine stichhaltige kritische Einschätzung der technischen Entwicklungen heute mit Digitalisierung und Maschinellem „Lernen“ etc. lässt sich nur mit einigen Grundkenntnissen verstehen.

Andererseits werden wir mit einer Einführung in eine „3D game engine“ (Unity) herausfinden, wie weit sich bereits ohne Programmierkenntnisse und nur mit einer Pappschachtel (Cardboard) sowie einem Smartphone plus Kopfhörern eigene visuelle und auditive virtuelle Räume realisieren lassen. Diese VR-Räume können auch als Darstellungs-Werkzeuge für Inhalte aus anderen Seminaren und Themenfeldern herangezogen werden.

Hintergrund:
Die „Phantomatik“ von Stanislaw Lem und der „bio-adapter“ von Oswald Wiener waren in den Sechzigerjahren die beiden ersten – unabhängig voneinander formulierten – literarisch-künstlerisch umfassenden Skizzen (voll-immersiver) künstlicher Welten/Bewusstheiten, heute meist popularisiert und als Virtuelle Realität bezeichnet. Mehr als zwanzig Jahre zuvor hatte bereits Adolfo Bioy-Casares in „La invención de Morel“ über die Projektion vorgespiegelter Welten und die Lebendigkeit dieser Bilder sowie die Unsterblichkeit der so konservierten Darsteller/innen spekuliert. Doch seine Fragen verblieben noch vor der „ersten adaptionsstufe“ bzw. der „peripheren Phantomatik“ (und auch vor unserer „game engine“). Weit entfernt von fiktionaler Spielerei war Wieners Entwurf aus experimenteller Literatur erwachsen und hatte neue Impulse in die Grundlagenforschung zur Denk- und Bewusstseinspsychologie gesetzt. Auf die Ambivalenz des Künstlichen war schon damals gewiesen: „eine Regelmäßigkeit ist eine Turing-Maschine, ein Gegenstand ist ein Modell. So betrachtet ist Sinn ein Trick, die Beschränkungen der formalen Kapazität eines Organismus zu verlagern; er ermöglicht die Führung syntaktischer Operationen durch ‚Inhalt‘“ (Wiener, 1988). Als besonderer Aspekt ist der „bio-adapter“ im Rahmen von Wieners „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ zu verstehen, die der damaligen Gesellschaft einen erkenntnistheoretischen Zerrspiegel ihrer abendländischen Evidenzen vorgehalten hat. Mit der Parole „befreiung von philosophie durch technik“ hat er nicht nur an dem Sockel des seinerzeit eingeläuteten linguistic turn (Wittgenstein et al.) durch Kybernetik gerüttelt, sondern auch die Abgründe der Kybernetik in positivistisch geregelten Gesellschaften parodiert. „erst eine sprachwissenschaft, welche die wirklichkeit ausgemerzt haben wird, kann eine behavioristische psychologie wirklich ermöglichen“. Kommt mit dem „bio-adapter“ ein Endzustand und eine potentielle Fratze des Bacon’schen Wissenschaftsprogramms selbst zum Vorschein, der wir mit unserer Technikentwicklung immer näher rücken? Mit der Verschwisterung von Wissenschaft und Technik geht nicht nur das „gesund-heroische ideal eines den kosmos regierenden homo sapiens“ in Erfüllung, sondern auch seine „trockenlegung“ und die „liquidierung“ dieses Menschen, prophezeit denn auch die „systembeschreibung“ des „bio-adapter“, dessen Zweck es ist, „die welt zu ersetzen, d.h. die bislang völlig ungenügende funktion der ‚vorgefundenen umwelt‘ als sender und empfänger lebenswichtiger nachrichten (nahrung und unterhaltung, stoff- und geistwechsel) in eigene regie zu übernehmen – und seiner individualisierten aufgabe besser zu entsprechen, als dies die ‚allen‘ gemeinsame, nunmehr veraltete sog. natürliche umwelt vermag“ (Oswald Wiener, appendix A, 1965/66).

Ausblick Automatentheorie:
Es geht darum, ein konkretes Verstehen der Wende in der Erkenntnistheorie des 20. Jahrhunderts zu vermitteln: die Aufhebung des totalitären Anspruchs der „mathesis universalis“ durch die Universelle Turing-Maschine. Aber was ist eine Maschine und was eine Turing-Maschine? Was sind Algorithmen und was ist eine Struktur? Was ist der Unterschied zwischen universell und universal, zwischen effektiv und effizient? Wo liegen die Grenzen der Berechenbarkeit?

Ausblick auf das Virtuelle und die Immersion:
Sowohl den Begriff des Virtuellen, als auch den sich ausbreitenden Begriff der Immersion sollte man auf verschiedenen Ebenen diskutieren. Als virtuell lässt sich ein Prozess in einem Zustandsraum (eines Automaten) dem physikalischen Prozess gegenüberstellen. Was sind die Unterschiede? Und was sind die Gemeinsamkeiten zu einem Denk- oder Vorstellungsprozess? Die Immersion – als ein sich in Situationen oder Räumen wähnen, in denen man nicht ist – lässt sich einerseits verstehen als technische (heute digitale) Weiterentwicklung des Trompe-l’Œil, doch um die entscheidende Funktion der Rückkopplung erweitert, d.h. auf die Reaktionen des „Bildes“ auf die Handlungen der Betrachter/innen. Andererseits sind die Sprünge in andere Situationen auch im kindlichen Spiel, im Traum, in der Metapher, ja sogar als Erinnerung, immersive Formen eines grundlegend menschlichen Handlungsspielraums, die allerdings nicht, oder nur in geringem Ausmaß, auf eine Stimulation der Sinnesorgane angewiesen sind. Und auf welchen psychologischen Grundlagen basiert die Immersion in Hinsicht auf ein Ab- oder Untertauchen, ein „Sich-Wegbeamen“ – aus der Handlung des Kindes als „Schmoller“? (Friedrich W. Heubach, 2017)

Literatur:
Bioy-Casares, Adolfo: Morels Erfindung. München 1975; Originalausgabe: La invención de Morel. Buenos Aires 1940.
Lem, Stanislaw: Summa technologiae, Frankfurt am Main 1981; Originalausgabe: Kraków 1964.
Heubach, Friedrich W.: le dandysme. Hamburg 2017.
Wiener, Oswald: die verbesserung von mitteleuropa, roman. Reinbek 1969.
Wiener, Oswald: Schriften zur Erkenntnistheorie. Wien, New York 1996.
Wiener, Oswald [u.a.]: Eine elementare Einführung in die Theorie der Turing-Maschinen. Wien, New York 1998.

Wintersemester 2018/2019

1. und 2. Studienabschnitt

Wochentag(e) : Montag

Turnus : Wöchentlich

Zeit: 14.00 h

Beginn : 15.10.18

Ende : 04.02.19

Ort : Raumstrategien, T3.01


Teilnehmerzahl : 0 (0)