Theorie / Praxis Projekt
S.O.S. / Innen-Außen / von der Karte zur dérive: Selbstorganisation zwischen staatlichem Druck, demokratischem Versagen und internationalen Entwicklungspolitiken in Dhaka, Bangladesch
In den letzten Jahren ist Bangladesch für seine Erfolge im Bereich des Kampfs gegen Armut, der Frauenförderung und der Klimaresilienz, jüngst auch für seinen Schutz von Geflüchteten aus Myanmar, mehrmals als „Entwicklungsvorbild“ erklärt worden. 2017 ist sein Eintritt in die Gruppe der newly industrialised countries oder „Schwellenländer“ erfolgt, welcher die Stärkung von „urbanen“, also nicht auf Landwirtschaft beruhenden, Produktionsstrukturen zumindest offiziell bestätigt. Dabei schweigen die meisten Wirtschaftsberichte über die humanen und ökologischen Schattenseiten einer Entwicklung, die nicht nur die Städte und insbesondere die Hauptstadt, Dhaka, auf Kosten der ländlichen Räume bevorzugt, sondern die Arbeits- und oft auch die Menschenrechte missachtet. Die Ausbeutung der Fabrikarbeiter*innen Bangladeschs ist ihre weltweit skandalisierteste Manifestation; unkontrolliertes Stadtwachstum und die Herausbildung von spontanen Siedlungen, welche vor allem die von chronischer Armut fliehenden Land-Stadt-Migrant*innen selbstorganisiert bauen, ein weiteres Charakteristikum.
Im Laufe des Projekts beschäftigen sich die Studierenden mit Fragen der Urbanisierung im nicht-westlichen Kontext, der Ursachen von Land-Stadt-Migration, sowie der von supranationalen Institutionen wie der Weltbank gewollten industriellen „Entwicklung“. Dies verhilft dazu, am Beispiel einer selbstorganisierten Siedlung in Dhaka, Karail Basti, Taktiken und Strategien der Bewohner*innen zu erforschen und sichtbar zu machen. Als konzeptioneller Zugang bietet sich der Fokus auf Innen-Außen: Betrachtet man durch diese Linse Karail Basti, das physisch-geographisch von einem See und sozial-gesellschaftlich vom Stigma der Armut und „Illegalität“ von seiner Umgebung getrennt zu sein scheint, wird man feststellen, dass seine Bewohner*innen vielseitige Beziehungen sowohl im und zum „Inneren“ der Siedlung, als auch im und zum ausgedehnten „Äußeren“ unterhalten. Doch wie, mit welchen Medien und welchen Geschichten, lassen sich ihre familiären, nachbarschaftlichen, beruflich-kommerziellen und finanziellen Interaktionen, sowie ihr Verhältnis mit der Stadt und dem großstädtischen Leben, erzählen?
Das reiche Karail-Forschungsarchiv vom Habitat Forum Berlin steht den Studierenden ebenso zur Verfügung wie die Möglichkeit, an einer Exkursion nach Bangladesch im Februar 2019 teilzunehmen.