Praxisseminar
Liebe in Zeiten des Kapitalismus / Love in times of Capitalism
Wer von der Liebe sprechen will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.
Liebe gilt als anthropologische Konstante – Everybody needs somebody to love – und soll zugleich einzigartig sein: Only you. Tatsächlich aber entsteht die romantische Liebe nicht bei den „Jägern und Sammlern“, sondern zur gleichen Zeit wie die kapitalistische Marktwirtschaft. Das ist kein Zufall: Es ist die affektive Atmosphäre des Kapitalismus, die immer wieder die Sehnsucht nach Flucht in die Liebe erzeugt. Um die Liebe zu enträtseln, müssen wir deshalb verstehen, wie sich unsere Ökonomie anfühlt: Was ist das für ein Gefühl, im Kapitalismus zu leben? Und welcher Handel wird in der Liebe betrieben?
Diese theoretischen Überlegungen werden im Seminar vorgestellt und praktisch, das heißt mit performativen Mitteln, erforscht. Die Gesten der Liebenden und Tauschenden werden zusammengeführt, ihre affektiven Ökonomien choreographisch in Beziehung gesetzt.
Wir wollen wissen: Kann die affektive Tiefenstruktur des Kapitalismus nicht nur anschaulich, sondern auch begreiflich gemacht werden – durch Gesten, Situationen, Körperhaltungen? Die performative Arbeit wird über das Textuelle hinausgehen, es erweitern und übersetzen. Gemeinsam werden Bewegungen erarbeitet, die theoretische Überlegungen befragen und vermitteln. Bei der performativen Erkundung geht es um ein körperliches Sich-in-Beziehung-Setzen zur Philosophie. Wenn wir Kapitalismus und Liebe als affektive Strukturen verstehen, steht der Körper als Ort der Gefühle im Zentrum. Dabei geht es nicht nur um eine Analyse der Emotionen, sondern in der Tradition der Meyerholdschen Biomechanik auch um eine Analyse der Strukturen.
Wir werden gemeinsam Texte lesen, diese performativ erkunden und daraus eigene Skizzen für Performances entwickeln. Die performativen Versuche, die wir gemeinsam und in Gruppen erarbeiten, brechen vorgefertigte Denk- und Verhaltensmuster auf und öffnen den Raum für Utopien: Wie sähen alternative Modelle von Lieben und Arbeiten aus? Wo sind die Verbindungen zwischen dem Privatesten und dem Öffentlichen? Was wäre solidarische Ökonomie, was gesellschaftliche Zärtlichkeit?
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Whoever wants to talk about Love cannot be silent about Capitalism. Love is considered as a constant anthropological factor –Everybody needs somebody to love– and is supposed to be unique every time it happens: Only you. In fact, the concept of romantic love doesn’t emerge with the “hunters and gatherers”, but with capitalist market economy. This is no coincidence: It is the affective atmosphere of Capitalism that produces the desire to flee into Love. To decipher Love, we must thus understand how our economy feels like. How does it feel like to live in Capitalism? And what’s the trade in Love?
These theoretical reflections will be presented and researched with performative methods in the seminar. Gestures of loving and exchanging persons will be connected, relating their affective economies choreographically. We want to know: Can we not only illustrate, but experience the affective atmosphere of Capitalism – through gestures, postures, situations? The performative work will transcend and translate the texts. Together, we will work on movements that question and mediate theoretical thoughts. When Capitalism and Love are affective structures, the body is the central place for their understanding. This means not so much an analysis of emotions, but more an analysis of structures in the tradition of Meyerhold’s biomechanics.
Together we will read texts, do performative investigations on them and develop drafts for own performances. The rehearsals will be done together and in groups. Their aim is to break up with predesigned structures of thinking and acting and to open the space for utopias: How would alternative models of Love and Work look like? Where are the connections between the most private and the public? What would be an economy in solidarity? And what about social tenderness?
Leseempfehlungen/Readings:
Adamczak, Bini: Beziehungsweise Revolution, Frankfurt/M. 2017
Adamczak, Bini: Theorie der polysexuellen Ökonomie, 2004, unter: http://copyriot.com/diskus/06-1/theorie_der_polysexuellen_oekonomie.htm
Badiou, Alain: Lob der Liebe, Wien 2009
D’Emilio, John: Capitalism and gay identity, 1993
Horváth, Srecko: Die Radikalität der Liebe, Hamburg 2016
Illouz, Eva: Der Konsum der Romantik, Frankfurt/M. 2007
Illouz, Eva: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Frankfurt/M. 2007
Kipnis, Laura: Liebe – Eine Abrechnung. Frankfurt/M. 2004
Kitchen Politics (Hg.): Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit, Münster 2015
Kollontai, Alexandra: Wege der Liebe, Berlin 1925
Kuster/Lorenz: Sexuell arbeiten, Berlin 2007
Luhmann, Niklas: Liebe als Passion, 1994
Mc Robbie, Angela: Top Girls, Wiesbaden 2010
Pollesch, René: Liebe ist kälter als das Kapital, Reinbek b. Hamburg 2009
Stokowski, Margarete: Untenrum frei, Reinbek b. Hamburg 2016
Tretjakow, Sergej M.: Ich will ein Kind haben, Moskau 1924