Wintersemester 2016/2017, BA/MA Textil- und Material-Design Textil_Startseite
Cho'jac
Cho’jac – Tragenetz der Maya-Tzotzil
Bricolage aus zwei Nachhaltigkeitskontexten
Obwohl man das Cho’jac [d̠͡ʑoˈχʔac] vornehmlich als Artefakt in ethnologischen Museen findet, wird es in der Kultur der Maya-Tzotzil gebietsweise auch heute noch verwendet. Nachweislich ist der Netzbeutel seit Jahrtausenden tief im mesoamerikanischen Alltag verwurzelt - ein echtes Relikt. Seine für uns ungewohnte Form verdankt sich der Kombination des eigentlichen Netzes mit einem Riemen aus Leder, der zum Tragen schwerer Lasten über die Stirn geführt wird. Aufgrund der verwendeten Faser der Agavenpflanze, die in wochenlanger Arbeit zu einem filigranen und gleichzeitig ungewöhnlich dehnbaren Geflecht verarbeitet wird, ist er enorm belastbar. Das Wissen um seine Herstellung wird mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, doch der Import billiger Ersatzprodukte und die damit schwindende Nachfrage stellen für das Weiterbestehen dieser Handwerkstradition inzwischen eine ernsthafte Bedrohung dar.
Für das Projekt Cho’jac bildet dieser sozio-kulturelle Hintergrund die wesentliche Grundlage und Motivation. Deshalb steht hier nicht allein die Gestaltung im Vordergrund, sondern auch deren Einbettung in einen größeren Zusammenhang. Aktuell konzentriert sich die Entwicklung auf eine Umgestaltung des Cho’jac und eine Kombination mit zusätzlichen, nachhaltig gewonnenen Materialkomponenten aus heimischer Produktion, um es für einen weiteren Nutzerkreis zu adaptieren. Neben der Transformation des traditionellen Netzbeutels spielt die Kooperation mit indigenen Handwerksfamilien und die Entwicklung eines Vermarktungskonzepts eine große Rolle, das darauf zielt, durch die Erschließung neuer Einnahmequellen den Erhalt der Tradition langfristig abzusichern.
Der nachhaltige Ansatz des Cho’jacs bezieht sich nicht nur auf die ursprünglichen Produzenten, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette. So werden bei seiner endgültigen Fertigstellung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung auch hochwertiges, in Deutschland gewebtes Leinen und regional produziertes, pflanzlich gegerbtes Leder mitverarbeitet. Das Konzept geht gleichzeitig über die reinen Produktionsaspekte hinaus und zielt auf einen interkulturellen globalen Dialog. Es entsteht zwar ein „Luxusobjekt“, aber seine Ästhetik basiert auf einer Art sozialen Bricolage. Sein Wert liegt nicht in einem teuren, seltenen Material oder in sozialem Prestige, sondern in einem verkörperten nachhaltigen Prozessdenken, das soziale, handwerkliche und ästhetische Aspekte neu kombiniert. Diese Idee soll in Zukunft weiter ausgebaut werden, durch niedrigschwellige Kurse in der Region Chiapas, die die traditionelle Kulturtechnik unter der einheimischen Bevölkerung weiter verbreiten, und durch die Einbeziehung der lokalen Handwerker in die Entwicklung neuer gestalterischer Varianten.
Alle Rechte vorbehalten Thomas Kilian Bruderer