Wintersemester 2015/2016, BA/MA Textil- und Material-Design
Flora Skin
Jeder Mensch schützt sich vor Einflüssen der Außenwelt: nicht nur Hitze und Kälte, sondern z.B. auch vor Lärm oder überflüssigen Informationen. Bei Textilien liegt die Funktion darin, eine schützende Grenze zwischen Körper und Umgebung zu schaffen, mit der man sich sowohl auf der sensuellen als auch auf der ästhetischen Ebene wohlfühlt. Auf dem Körper getragene Textilien werden mit ihren optischen und haptischen Eigenschaften deshalb auch oft als zweite Haut betrachtet.
Die Metapher der schützenden Haut lässt sich aber auch auf viel weitere Bereiche übertragen. Den größten und ursprünglichsten Reichtum verschiedener Häute finden wir in der Pflanzenwelt. Deren Häute zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie sämtliche nötigen Schutzfunktionen bereits mitbringen. Damit liegt es nahe, sie als bionisches Vorbild für Textilien aufzugreifen, und das ist auch der Ansatz dieses Projekts. Dabei beschränkt sich die Arbeit nicht auf eine Erforschung funktionaler Aspekte, sondern bezieht auch die facettenreiche Ästhetik pflanzlicher Oberflächen ein. Deren Übertragung in das textile Medium findet in diesem Fall durch Stricken statt.
Als Grundlage für die Umsetzung wurden einerseits Baumrinde und andererseits die Oberfläche von Blättern untersucht. Diese zwei Kategorien pflanzlicher Häute zeigen klar unterscheidbare haptische und visuelle Erscheinungsformen, die wiederum mit ihren unterschiedlichen Funktionsprinzipien zu tun haben.
Von diesen verschiedenen Funktionsprinzipien ausgehend entstehen zwei Kollektionen.
Die erste Kollektion hat zwei Ansatzpunkte: zum einen die menschliche Wahrnehmung der Rinde mit ihrem groben, rauen, festen Charakter und zum anderen eine mikroskopische Analyse der Bastschichten im Längsschnitt. In der Übertragung entstehen Flächen mit löchrigen, festen, elastischen Strukturen. Die Nutzung von speziellen Pemotex- und Recytex-Garnen und Verbindung mit der Schafwolle, Hechelflacks, Stahlwolle ermöglicht eine transluzente, durchbrochene, elastische oder eine feste geschlosene Mehrschichtigkeit des Gestricks. Gestricke aus diesen Materialien sind fest, hitzebeständig, schallabsobierend, schwerentflammbar.
Bei der zweiten Kollektion wurde das Funktionsprinzip Blatt am Beispiel von Rhododendron- und Schneeball-Blättern betrachtet. Beide haben zwei unterschiedliche Seiten, eine glatte und eine weiche. Die Oberseite des Blattes (Epidermis) ist von Kutikula überzogen, die eine wasserundurchlässige, hydrophobe Wachsschicht bildet und das Verdunsten von Wasser verhindert.
Die untere Seite des Blattes hat eine weiche, haarige Seite, die das Pflanzengewebe vor Angriffen schützt und den Luftwiderstand und den Wasserverlust über die Blätter vermindert.
In der Umsetzung lag der Fokus auf der Zweischichtigkeit der Fläche und den feinen, filigranen Strukturen der zwei Blattseiten, die mit Hilfe der mikroskopischen Analyse erfasst wurden. Daraus wurden jeweils unterschiedliche Bindungen abstrahiert, die eine zweiseitige Membran ergeben. Die eine Seite hat einen eher weichen, offenen, die andere einen eher glatten, geschlossenen Charakter, mit einer weiteren Variation, in der eine direkte Folienbeschichtung eingesetzt wird.
Die Oberflächen gewinnen ihre Funktionalität aus der Verbindung von natürlichen Materialien und jeweils spezifischen Fadenqualitäten. Mit dem Einsatz von pflanzlichen und tierischen Fasern enstehen atmungsaktive Gestricke, die auf der einen Seite flusenfrei und abweisend gegen Schmutz und Bakterien und auf der anderen Seite wärmeisolierend sind. Dazu kommen weitere, mit Folie beschichtete Strickflächen, die fest, auf der einen Seite wasserabweisend und auf der anderen wärmespeichernd sind.
Flora Skin ist eine in mehreren Bereichen anwendbare Kollektion. Mit ihrer Vielfalt von natürlichen und künstlichen Materialien und Zusammensetzungen, kann sie sowohl in eine Hightech- als auch eine und Lowtech-Richtung gehen. Der kreative Prozesses wurde dabei zusätzlich angetrieben durch die Kooperation mit den Unternehmen Trevira CS, Folienbschichtungsunternehmen Dunmore, Leinen Fabrik-Siulas und Werkstatt der Papierschöpfung, deren Materialien ihre Entwicklung in eine industrielle Richtung erweiterten. Die entstandenen Strickflächen mit ihren funktionellen Eigenschaften können sowohl im Interior-Bereich als auch in der Mode eingesetzt werden.
Dominyka Sidabraite 2016