Wintersemester 2013/2014, BA/MA Textil- und Material-Design
Chamäleon-Membran
Adaptive Fassadenelemente
Diplomarbeit von Madlen Deniz
Architektur und Bionik
Seit jeher sind Architektur und Fassade durch das Spannungsfeld Ästhetik und Funktion geprägt.
Auch beim Entwurf der adaptiven Chamäleon-Membran geht es um eine Synthese dieser beiden
Aspekte. Wird das Haus traditionell und etymologisch als etwas Starres, Schutzgebendes,
Bedeckendes angesehenen, versuchen moderne Konzepte, ein neues Verständnis von Architektur zu
schaffen und die architektonische Geschlossenheit durch den Einsatz neuer Materialien und aktiver
Funktionen, die vornehmlich in der Gebäudehülle integriert werden, zu überwinden. Für die
Umsetzung von Integration, Multifunktionalität und Prozessabläufen dienen in der Technik und im
Design oft biologische Systeme als Vorbild, die bereits optimierte Strukturen, Prozesse und
ressourceneffiziente Lösungen beinhalten und sich auf technische oder auch soziale Zusammenhänge übertragen lassen. Dabei ist es das Ziel, ein zwar von der Natur inspiriertes, aber nach jeweils modifizierten Regeln funktionierendes technisches Objekt oder Verfahren zu entwerfen, das auf seine Weise auf gegebene Herausforderungen reagiert.
Funktion und Technik
Der Energieverbrauch von Gebäuden, insbesondere von Bürogebäuden und öffentlichen Gebäuden,
beläuft sich immer noch auf über 40 % des gesamten Energiebedarfs für Lüftung, Klimatisierung, Heizung und Beleuchtung. Besonders bei „Concrete Buildings“, Vorhangfassaden, Pufferfassaden und Glasfassaden ohne integrierte Blend- und Lüftungssysteme ist der Energieverbrauch durch die großen Glasflächen enorm hoch. Um ihn zu verringern, berücksichtigen Architekten und Designer verstärkt die Möglichkeiten neuer und intelligenter Materialien zur Entwicklung selbstregulierender Fassaden an der Verbindungsstelle zwischen Innen und Außen. Als klimasensitive Membran reagieren sie selbständig auf wechselnde Wetterbedingungen und verbinden den Schutz vor Außeneinflüssen mit einem optimierten Energiemanagement.
Die Chamäleon-Membran, die in Anlehnung an die Haut des Chamäleons entwickelt wurde, zielt
darauf, durch Farbveränderung intensive Sonneneinstrahlung zu reflektieren und Überhitzung im Innenraum zu vermeiden. Sie funktioniert dabei autonom, ohne externe Energieversorgung, auf Basis von integrierten Bauteilen mit Formgedächtnislegierung, sogenannten Shape Memory Alloys, die durch Wärmeenergie aktiviert werden. Das Material setzt sich aus Nickel und Titan zusammen und nimmt aufgrund molekularer Veränderungen temperaturabhängig zwei verschiedene Formzustände an. Es bietet die Möglichkeit, festgelegte Bewegungen energieautark, lautlos und in einer hohen Anzahl an Zyklen (100.000 und mehr) auszuführen, für die sonst aufwändige
motorisch betriebene Anlagen benötigt würden, und kann dadurch gegenüber konventionellen
Lösungen auch zu deutlichen Kosteneinsparungen führen. Die Chamäleon-Membran ist vorzugsweise für großflächige Verglasungen konzipiert und kann dort ohne großen Aufwand nachinstalliert werden.
Nach dem Prinzip Form Follows Environment passt sich die Chamäleon-Membran optimal an die jeweils aktuellen tageszeitlichen und jahreszeitlichen Witterungsbedingungen an und vermittelt wie ein natürlicher Mechanismus zwischen den Bedürfnissen der Menschen und ihrer gegebenen Umwelt.
Funktionsweise
Die Chamäleon-Membran setzt an der dem Chamäleon eigenen Funktion des Farbwechsels bei
Veränderung der Sonneneinstrahlung bzw. Temperaturveränderung an. Die Rolle der in den
verschiedenen Ebenen eingelagerten Pigmentzellen der Chamäleonhaut wird hier von farbigen
Fassadenelementen übernommen, die – in einer Übertragung der neurophysiologischen Mechanismen des Dehnens und Zusammenziehens der Muskelzellen – mit Hilfe der Formgedächtnislegierung zueinander verschiebbar sind. Hohe Temperaturen bzw. Überhitzung
führen dazu, dass sich die aus den Elementen gebildete, sonst teilweise offene Fläche komplett
schließt. Neben der Aufgabe der Temperaturregelung fungiert die Oberfläche auch als ein variables Display, dass mit seiner Umgebung kommuniziert.
Ästhetik der gestalterischen Arbeit
Die Gestaltung der Membran spiegelt ihre bionische Herkunft auch ästhetisch wider, indem sie das in der Chamäleonhaut als natürlichem Vorbild gegebene Muster abstrahiert, wobei die ornamentalen Elemente gleichzeitig auch aus ihrer technischen Funktion abgeleitet sind. Die Gebäudehülle macht damit ihre Idee und Funktion unmittelbar lesbar und erzeugt ein sinn- und identitätsstiftendes Moment, das für eine intelligente und interaktive Beziehung zwischen Architektur und Natur steht.
Die aktiv reagierende Ornamentik relativiert so in mehrfacher Hinsicht die reine Abstraktion der
modernistischen Glasfassade, die der Außenwelt ein abgeschlossenes System entgegensetzt, das nur
unter Aufbringung hoher Ressourcen betrieben werden kann.
Im Inneren des Gebäudes ist die ästhetische Wirkung noch intensiver, da das einfallende Licht den Raum selbst in ein kontinuierliches Licht- und Farbspiel taucht. Mit ihren Bewegungen erzeugen
die transparenten und transluzenten Scheibenelemente in den Grundfarben Weiß, Gelb, Rot, Blau und Schwarz, analog zum Vorbild des Chamäleons und seiner Farbpigmentschichten, immer neue Farbüberlagerungen. Es entsteht eine Atmosphäre, in der sich natürliche und technische Umwelt verbinden und die dynamische Beziehung zwischen Innen- und Außenraum sinnlich erlebbar wird.
Beschreibung Membran I
Die Chamäleon-Membran I arbeitet mit dem Prinzip der translatorischen Bewegung, wobei die verschieden farbigen Scheibenelemente durch Formgedächtnis-Zugfedern nach oben gezogen
werden. Dabei werden die Öffnungen der Ornamentik durch dahinterliegende farbige Platten
geschlossen. Als Rückstellelement dienen unterschiedlich vorgespannte Zugfedern, die somit eine zeitliche Verzögerung der Bewegung der Scheibenelemente bewirken. Die Fassadenmodule können individuell an Fenstergrößen angepasst werden und funktionieren im Hoch- wie auch Querformat. Sie können partiell oder vollflächig an der Fassade hinter Glas bzw. in Zwischenverglasungen angebracht werden. Dabei arbeiten die Fassadenmodule voneinander unabhängig, sodass je nach Tages- und Jahreszeit und auch je nach Gebäudeseite (Nord, Süd, West,
Ost) unterschiedliche Zustände der reaktiven Flächen zu sehen sind.
Beschreibung Membran II
Die Chamäleon-Membran II basiert auf der exzentrischen Bewegung. Die Module in Form von
Chamäleonschuppen können einzeln durch Wärmeeinwirkung angesteuert werden. Oberhalb der Drehachse befindet sich das FGL-Element als Blech bzw. Draht, welches durch eine Klebeverbindung mit Federstahlblech, das als Rückstellelement fungiert, zu einem Verbundmaterial entwickelt wurde. Die exzentrische Bewegung wird durch die Gestaltung der Innenfläche mit gebogenen länglichen Rechtecken unterstützt.
Interpretation
In der zunehmenden Einbeziehung von Umgebungsprozessen in Architektur und Gestaltung drückt sich auch ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur aus. Dies kommt besonders im verstärkten Einsatz aktiver, intelligenter Gebäudeelemente zum Tragen, die sowohl auf bionische Konstruktionsprinzipien wie auf neu entwickelte Materialien zurückgreifen. Durch sie kann die adaptive Gebäudehülle Chamäleon-Membran wie ein lebender Organismus mit ihrer Umgebung interagieren.
Diese neue Synthese von Technologie und biologischem System bringt dabei nicht nur eine höhere Energieeffizienz und somit wirtschaftliche Vorteile mit sich, sondern mündet auch in eine neue gestalterische Sprache, die ihre aus der Natur bezogenen Funktionen sichtbar macht und reflektiert.
Unabhängig von der intelligenten Klimatisierung entsteht eine identitätsstiftende Atmosphäre, in
der sich Lokalität und Prozesshaftigkeit verbinden und das Naturhafte als Schlüsselfaktor erlebbar
wird. Im Inneren des Gebäudes wird der Mensch in eine hybride Natur versetzt, in der er sich bewegen und gleichzeitig in diesem neu geschaffenen Komplex positionieren kann.
Eine Zusammenbeit mit Fraunhofer Institut IWU in Dresden (Betreuer: Andrè Bucht, Kenny Pagel, Christoph Eppler, Wolfgang Zorn) und Weißensee Kunsthochschule Berlin Studienrichtung Textil-und Flächendesign
Januar 2014